Als die Notbremse in Deutschland am 23. April 2021 mit dem 4. Bevölkerungsschutzgesetz gezogen wurde, war den intelligenten Bürgern und den nicht instrumentalisierten Fachleuten längst klar, dass die dritte Welle kaum das Ausmaß der zweiten Welle wird erreichen können, denn mit Sommerzeit und steigenden Temperaturen haben Infektionskrankheiten generell ab Mai schlechte Karten.
Nach drei Wochen „verzweifelten Bürgerschützens“ sind die Inzidenzwerte in fast allen Bundesländern wieder unter 100, in Hamburg und Schleswig-Holstein sogar unter 50. Kann eine Ausgangssperre aber wirklich das geleistet haben? Immerhin wurde von „Fachleuten“ im April noch das Szenario ausufernder Infektionszahlen in Aussicht gestellt, mit mehr als 100.000 Neuinfektionen am Tag. Die Britische Mutante als unkalkulierbares Risiko für menschliches Leben auf diesem Planeten. Weder das exponentielle Wachstum noch eine dramatische Verschlimmerung hat sich bisher durch irgendeine Mutante ereignet.
Der Blick auf die drei Wellen, wirft aber noch eine andere Frage auf:
Warum eigentlich all diese Maßnahmen?
Schon im letzten Jahr gab es am Anfang der Pandemie einen Lockdown, mit Schließung von Einzelhandel und Gastronomie sowie Berufsverboten für Künstler und Messeveranstalter. Argumentiert wurde das damals wie heute mit dem Schutz des Gesundheitssystems und der Verhinderung einer Überlastung der Intensivstationen.
Im Jahre 2021 hätte man sich sicherlich über die Infektionsraten des Vorjahres gefreut und eine Notbremse bzw. einen Lockdown für überflüssig gehalten. Wenn aber im aktuellen Jahr die täglichen Neuinfektionen bis zu viermal höher waren als im letzten Jahr, das Gesundheitssystem aber weder damals noch heute zusammengebrochen ist, wie muss man dann den Lockdown des letzten Jahres bewerten?
Schlimmer noch: Im Verlauf des Jahres 2020 sollen sogar 20 Krankenhäuser geschlossen und damit die Bettenkapazitäten reduziert worden sein, wie engagierte Querdenker gerne behaupteten. Auch wenn es am Ende nur 12 Krankenhäuser waren und viele Betten von umliegenden Häusern kompensiert wurden, wie unter Correctiv.org nachzulesen ist, eine Krankenhausschließung bedeutet immer eine Reduktion von Verfügbarkeit und für viele Menschen einen verlängerten Anfahrtsweg.
Betrachtet man die deutsche Krankenhaus-Statistik, erkennt man den Rückgang von Krankenhausbetten aber auch deren Bedarf:
Entscheidend in einer Pandemie ist die Zahl der Intensivbetten. Das deutsche Intensivregister musste allerdings im vergangenen Jahr erst aufgebaut werden. Ab Mitte August gab es dann zudem die Angabe der Notfallreserve. So sieht die Situation aus:
Man erkennt, dass die Belegung im Gesamtergebnis aller deutscher Krankenhäuser auf einem konstanten Niveau gehalten wurde. Wellen, wie bei der Zahl der Infektionen, gibt es hier nicht. Das wurde dadurch erreicht, dass man sonst übliche Therapien mit sicher notwendiger Intensivbetreuung aufgeschoben hat, also z.B. schwere Operationen und Krebstherapien. Ob das für die Genesung dieser betroffenen Personen förderlich ist, wurde bisher nicht dokumentiert.
Während es ein erkennbares Bemühen gibt, die Auslastung der Intensivstation auf ein konstantes Niveau zu halten, dass eine Überbelastung verhindert, muss man aber auch festhalten, dass man scheinbar dieses Thema so sehr im Griff zu haben scheint, dass man die offiziell freien Kapazitäten sogar abgebaut hat. Konstant geblieben ist jedoch die Notfallreserve. Erlaubt sein muss an dieser Stelle der Hinweis, dass im vergangenen Jahr in Talk Shows und Zeitungsartikeln immer wieder eine viel zu geringe Zahl an Intensivbetten publiziert wurde. Bereits im November 2020 haben wir über die tatsächliche Zahl berichtet, die von der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft veröffentlicht wurde (siehe: Jens Spahn: Daddeln bis der Arzt kommt). Die genannten 30.000 zzgl. 12.700 Notfallreserve werden jetzt durch die Grafik des Intensivregisters bestätigt.
Zu den Kapazitäten und deren Schwankungen heißt es bei der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft:
„Kapazitäten
Vor der Corona-Krise gab es in Deutschland bundesweit rund 28.000 Intensivbetten, davon 22.000 mit Beatmungsmöglichkeit. Diese waren durchschnittlich zu 70 bis 80 Prozent belegt. Bundesweit wurden in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die Kapazitäten ausgebaut. Zusätzlich haben alle Krankenhäuser, unterstützt durch zentrale Maßnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit, weitere Beatmungsplätze geschaffen. Aktuell konnte die Zahl der betreibbaren für Covid-19-Patienten geeigneten Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit auf mehr als 28.000 gesteigert werden. Zusätzlich steht eine Reserve bereit, die innerhalb einer Woche aktiviert werden kann. Diese Reserve schwankt je nach Personalsituation zwischen 10.000 und 12.000 Betten. Sie wird erst durch weiteres Rückfahren der Regelversorgung und weitere Maßnahmen verfügbar.
Warum schwankt die Gesamtkapazität der Intensivbetten?
Die Zahl der zur Verfügung stehenden Intensivbetten ist vor allem von den Personalkapazitäten abhängig. Mit der Wiedereinführung der Pflegepersonaluntergrenzen und deren Verschärfung im Sommer 2020 bzw. zum Jahreswechsel ist die Gesamtzahl der Intensivbetten spürbar gesunken. Hinzu kommt der weitaus größere Pflegebedarf von Covid-Erkrankten, der zusätzlich Personal bindet und viele Krankenhäuser dazu zwingt, Intensivkapazitäten abzumelden. Dass die Gesamtzahl zwischen den Wellen nicht wesentlich steigt, liegt z.B. daran, dass Krankenhäuser verschobene OPs nachholen, dass Beschäftigte lang aufgeschobenen Urlaub nehmen oder Überstunden abbauen.“
Quelle: https://www.dkgev.de/dkg/coronavirus-fakten-und-infos/
Entscheidend muss aber die Zahl der Intensivbetten sein, die für Corona-Patienten geeignet sind. Wenn es um deren Belegung geht, erkennt man dann auch Veränderungen in Folge des Infektionsgeschehens. Allerdings sind überraschender Weise die Schwankungen bei weitem nicht so groß, wie die Schwankungen bei den Neuinfektionen. So sieht die Situation in der Grafik aus:
Quelle: https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen
Freie Kapazitäten sagen, wie wir bereits feststellen mussten, noch nichts über die intensivmedizinisch behandelten Personen aus. Aber auch darüber gibt es mittlerweile genaue Auswertungen.
Da sind sie wieder, die drei Wellen. Alles andere wäre ja auch überraschend. In der Spitze wurden also ca. 5.700 Betten benötigt. Weiter oben wurde die vorhandene Kapazität mit 28.000 Betten angegeben. Wir haben also in der gesamten Zeit der Pandemie eine maximale Auslastung von 20 Prozent gehabt. Die Notfallbremse ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Viel Anlass zur Panik lässt sich diesen Zahlen nicht entnehmen.
Aber das ist noch nicht alles: Auffällig ist, dass die Zahl der Fälle mit invasiver Beatmung im aktuellen Jahr etwa doppelt so hoch liegt, wie im vergangenen. Während sich also die Zahl der Infektionen vervierfacht hat, kam es bei den schweren Fällen lediglich zu einer Verdoppelung. Das steht ein wenig im Widerspruch zu den Aussagen über die neuen Virus-Mutationen wie z.B. der britischen Variante, die sich ja nicht nur schneller verbreiten, sondern auch schwere Verläufe zeigen sollte. Der Anteil der britischen Variante B.1.1.7 liegt übrigens aktuell bei fast 90 Prozent. Auch die enorme Gefahr durch Virusmutationen lässt sich mit diesen Zahlen der Intensivbetten-Nutzung nicht bestätigen.
Fazit
Wie kann ein Fazit nach diesen Fakten ausfallen? Alle Maßnahmen des letzten Jahres erscheinen maßlos überzogen. Lockdowns und Berufsverbote waren allesamt unangemessen. Das Gesundheitssystem war zu keiner Zeit auch nur ansatzweise in Gefahr. Leider hat man dabei die Chance verpasst, wichtige Daten über Infektionswege und tatsächliche Hot Spots zu sammeln. Wenn man die meisten Lokalitäten schließt oder mit irrsinnigen Auflagen betreiben lässt, verfälscht man Ergebnisse. Allerdings wurden auf der anderen Seite auch gar keine Daten erhoben. Die größte Sünde in eine Pandemie.
Auch in diesem Jahr scheint alles stets unter Kontrolle geblieben zu sein. Was dann auch die Notbremse im April in Frage stellt. Nicht unter den Tisch fallen sollte dabei, dass diese Aussage für die Gesamtbetrachtung der Bundesrepublik gilt. Im Einzelfall sind mit Sicherheit etliche Krankenhäuser über die Belastungsgrenze getrieben worden, weil ein Virus sich nicht gleichmäßig über die Bundesrepublik verteilt. Es liegt bei einer Ansteckungskrankheit in der Natur der Sache, dass an einem Ort sehr viele Fälle auftreten, während anderswo gar keine Fälle zu vermelden sind. Auch dazu wurde vom Intensivregister eine Grafik veröffentlicht:
Als Lehre aus der Pandemie sollte man festhalten, dass die medizinische Versorgung nicht in private Hände gehört. Um eine angemessene Bezahlung zu garantieren und den Beruf des Intensivpflegers attraktiver zu machen, sollte hier der Staat das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand nehmen. Selbst wenn es kaum gelingen wird, einmal privatisierte Krankenhäuser wieder zu verstaatlichen, sollte es stattdessen möglich sein, dass eine staatliche Institution für die Ausbildung und die Zuteilung von Intensivpflegekräften verantwortlich ist. Diese erhalten dann von den Krankenhäusern einen aus der Industrie bereits bekannten Werkvertrag. Das garantiert eine angemessene Bezahlung. Sollte ein auf diese Weise erzielter Mindestlohn für Pflegekräfte für Krankenhäuser wirtschaftlich nicht tragbar sein, könnte eine Verringerung durch steuerfinanzierte Boni ausgeglichen werden, die dann von der staatlichen Institution ausgezahlt wird.