April 20, 2024

Militante Körnerfresser

Bericht von der Anti-Atom-Herbstkonferenz ‘96 in Hamburg

oder: In Ermangelung von Argumenten kehrt „mensch“ zum Faustrecht zurück

In der irrigen Ansicht, hinter dem kleinen Wörtchen „man“ könnte sich ein Angriff auf die Frauenwelt verbergen, wurden diese drei Buchstaben in einem Emanzipationswahn schon beim Informationsheft durch ein so im Duden nicht zu findenden Ausdruck „mensch“ ersetzt. Trotz haarsträubender Rechtschreibreformen wird es aber aller Voraussicht nach auch in naher Zukunft nicht zu einer bundesweiten Durchsetzung dieser Terminologie kommen. Und so hat dieser kleine Ausflug in die deutsche Rechtschreibung fast schon Symbolcharakter, denn auch die Inhalte und Forderungen der Anti-Atom-Herbstkonferenz ’96 in Hamburg haben wenig Aussichten auch nur im Ansatz ernst genommen zu werden.

Aber warum tut man sich jetzt diese Konferenz an, wenn weltbewegende Neuigkeiten von vornherein nicht zu erwarten waren? An sich schon eine Beleidigung des Intellektes, stellt diese Zusammenkunft gesellschaftlicher Verlierer eine der reinsten Formen der Zeitverschwendung dar. Aber was waren jetzt die Motive? Neugier, Masochismus oder einfach nur Geldgier, die auch für Journalisten zur Triebfeder werden kann? Die Gesellschaft zotteliger Schlichtgemüter, die sich neben versiffter Kleidung vor allem durch ihr ungepflegtes Äußeres definieren, ist nun so erbauend nicht. Der einzige Trost, der einem nach zwei Tagen des Ekels bleibt, ist die Tatsache, dass Akne und fettige Haare nicht ansteckend sind.

Der erste Redebeitrag der Veranstaltung gab jedenfalls sogleich einen Eindruck von dem zu erwartenden Niveau. Es wurden Freiwillige gesucht, die beim Abwasch von Tellern und Tassen helfen, um damit das Mittagessen zu sichern. Besonders gefallen hat auch der Beitrag einer jungen Teilnehmerin, die wahrscheinlich unlängst ihr 15-jähriges Palästinenser-Tuch-Jubiläum gefeiert hat. Sie berichtete dem staunenden Auditorium, dass sie tags zuvor beim Filmabend einem Mann wieder begegnet ist, der sie vor einigen Jahren sexuell belästigte. Da der Mann von ihr angesprochen nicht ausschließen konnte, dass sich so etwas wiederholt, machte sich Unwohlsein bei ihr breit. Sie beantragte daher, den Triebtäter bei Erscheinen von der Veranstaltung auszuschließen, während mir der Film „Planet der Affen“ in den Sinn kam.

Weniger animalisch ging es dann in den Arbeitsgruppen zu. Die Atmosphäre erinnerte einem permanent an das Wartezimmer beim Hautarzt. In panischer Angst, von irgend jemanden berührt zu werden, begann das heftige Stühlerutschen. Nachdem die Referenten und Diskussionsleiter sich durch fehlende Vorbereitung auszeichneten, verliefen die Diskussionen ungeordnet und inhaltslos. In der festen Überzeugung, dass allein nur die eigene Meinung zählt, gab es immer wieder vehemente Anträge, die Gruppen zu zersplittern, weil mensch einigen Themen nicht folgen konnte oder wollte.

In fast jeder Arbeitsgruppe kam man sehr schnell zu dem Schluss, dass eine Verständigung auf eine gemeinsame Aussage und die Formulierung allgemein gültiger Ziele aufgrund der Vielfältigkeit der Neurosen der Teilnehmer wohl nicht möglich sei. Die Anti-Atom-Bewegung als Vehikel für die z.T. militante Durchsetzung kommunistischen und anarchistischen Gedankenguts verliert somit die Seriosität einer politischen Kraft.

„Bringen uns die Aktivitäten um den Castor Transport dem Ausstieg aus der Atomenergie und /oder der Abschaffung der herrschenden Klasse näher? Welche Handlungen führen zur Erreichung dieser Ziele?“

… war eine These der Arbeitsgruppen. Aber was nur Mittel zum Zweck ist, wird bei weniger fanatischen Atomkraftgegnern schnell auf Ablehnung stoßen. Auf der anderen Seite lockt eine so heterogene Gemeinschaft immer wieder Randgruppen an, die diese zum Ausleben ihrer zerstörerischen Triebe ausnutzen. Ein Erfolg auf politischer Ebene erscheint jedenfalls unwahrscheinlich, da es nicht gelingen wird, alle mit der Anti-Atom-Bewegung verbundenen Visionen in eine Richtung zu lenken.

Obwohl einige Teilnehmer bei ihrer Anreise auf dem Hauptbahnhof von Zivilpolizisten kontrolliert wurden und obwohl Einladungen zum „fröhlichen Gleise-Ansägen beim Castor-Kran“ ausgesprochen wurden, traut man den anwesenden Teilnehmern gewalttätige Demonstrationen kaum zu. Für den netten, jungen Mann, der die ganze Zeit an seinem Angora-Pulli strickte oder die junge Mutter, die pausenlos ihr Baby vor versammelter Mannschaft stillte, möchte ich fast schon meine Hand ins Feuer legen. Allerdings nicht zu Desinfektionszwecken. Da bevorzuge ich dann doch noch eher die Dusche. Einen Ort, den diese Atomkraftgegner wahrscheinlich nur vom Hörensagen kennen. Nach den zwei leidvollen Tagen werde ich es jedenfalls wieder zu schätzen wissen, wenn ein Bauer Jauche ausfährt.

[U.B.]