März 28, 2024

Wenn Politik ein Rockfestival wäre

Der „Dammbruch“ in Thüringen ist ein Fest für die Medien. Vor allem die Vielfältigkeit der Geschichten und die unzähligen Aspekte haben Stoff für unzählige Artikel, Reportagen und Talk-Shows geliefert. Für die Medien ist das in Thüringen perfekt gelaufen.

Für einen Politikwissenschaftler und einen emotionslos beobachtenden Außenstehenden überraschte der mediale Rummel schon ein wenig. In der sachlichen Analyse ist weit weniger Anlass zur Aufregung, als es die Medienlandschaft widerspiegelt.

Kein Lager der gewählten Vertreter im Thüringer Landtag hatte eine Mehrheit, jeder war auf Fremdstimmen angewiesen. Nun sieht die Thüringer Verfassung wie die vieler anderer Länder vor, dass jeder gewählte Vertreter nur seinem Gewissen und den Wählern, die ihn gewählt haben, verpflichtet ist und nicht seiner Partei. Es ist im Laufe der Geschichte ja schon ab und an vorgekommen, dass ein Politiker im Laufe einer Legislaturperiode mit seiner Partei gebrochen hat. Nur weil er nicht mehr einer Partei angehört, verliert er daher aber nicht seinen Platz im Landtag.

Jeder gewählte Vertreter ist also primär nicht nach seiner Parteizugehörigkeit zu beurteilen, sondern nach der Zahl der Menschen, die er vertritt. Die AfD vertritt fast 25% der Menschen in Thüringen. Das ist ein hoher Prozentsatz und vor jeder Wahl versuchen alle anderen Parteien alles, um der AfD diese Wähler wieder abzuwerben. Da sagt auch keiner, von dem einen oder anderen will er die Stimme gar nicht, weil er zuletzt die Rechtsaußen gewählt hat.

Was durch die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen passiert ist, kann man als Fehlverständnis demokratischer Abläufe bewerten. Wenn die Vertreter der AfD nicht ihren eigenen Kandidaten wählen, sondern ihre Stimmen der Konkurrenz geben, haben die AfD-Abgeordneten im Grunde ihre eigenen Wähler verraten. Beim Fußball wäre das mit einem Eigentor vergleichbar. Nur dort kommt kein Moralapostel daher und sagt, mit dem Tor, dass für uns der Gegner geschossen hat, kann ich nicht leben. Das ist kein akzeptabler Sieg. Sport und Politik passen so gar nicht zusammen.

Ein Ministerpräsident wird per geheimer Wahl bestimmt. Auch wenn man das Wahlverhalten erahnen kann, mit absoluter, 100%iger Sicherheit wird keiner sagen können, wie genau abgestimmt wurde. Vielleicht haben genauso viele aus dem linken Lager den Kemmerich von der FDP gewählt, wie AfDler für den Ramelow gestimmt haben. Natürlich ist das sehr sehr unwahrscheinlich, aber der Sinn und Zweck geheimer Wahlen ist es, nur das Ergebnis zu sehen und nicht über das Wahlverhalten einzelner zu diskutieren.

Aber das ist nicht der einzige Punkt, bei dem unsere Demokratie Schaden genommen hat. Wenn man die Stimmen vom politischen Gegner bekommt, sagt man in aller Regel Danke und stört sich wenig daran. Das besondere ist hier, dass es um Stimmen eines Landesverbandes der AfD geht, dessen Spitze mit Björn „Adolf“ Höcke sehr rechtslastig besetzt ist. Kann man sich mit den Stimmen eines extremen Rechtsaußen wählen lassen? Im Paradies oder Kinderwunderland sicher nicht, aber in der Politik ist das etwas unglücklich. Vor der Wahl wird um jeden Bürger geworben, aber wenn einer dann AfD gewählt hat, zählt seine Stimme nicht mehr? Man wird von der Demokratie ignoriert, wenn man den Demokratie-Regeln der etablierten nicht entspricht? Was stand noch einmal im Grundgesetz? Hier macht man es mit so einem Verhalten der AfD zu leicht, ihre Wähler dauerhaft an sich zu binden. Eine Gemeinschaft der Ausgegrenzten, das war das Gefühl, das man hatte und darum die Rechtspartei wählte, und mit dieser solidarisiert man sich jetzt noch mehr. Das ist fatal.

Wenn Politik ein Rockfestival wäre

Beim Rockkonzert interessieren nur die Musiker auf der Bühne. Das Publikum darf mitsingen, abrocken und Feuerzeuge anzünden, aber eigentlich spielen die Menschen vor der Bühne keine Rolle. Vom Veranstalter wird ein bunter Mix an Bands geboten, um möglichst viele Menschen anzulocken, irgend etwas wird schon für einen Besucher dabei sein.

Wer dann während des Festivals eine bestimmte Musik nicht mag, verbringt seine Zeit weiter hinten an den Getränkeständen, fertig. Der Betrieb läuft, alles ist prima. Das Publikum bei einem Rockfestival bleibt auf jeden Fall bei der Stange und wartet einfach die nächste Band ab, um wieder weiter vorne an der Bühne ab zu tanzen.

Der Veranstalter hat also einen bestimmten Mix an Bands zusammengestellt und Menschen damit angelockt, die eventuell auch nur wegen einer einzigen Band gekommen sind. Der zahlende Besucher erwartet also nichts anderes, als dass die Musik seiner Band gespielt wird und kann auch damit leben, dass die meisten Bands ihm nicht so gefallen.

Wenn jetzt während des Festivals die Summe der anderen Bands auf die Idee kommt, dass eine Band eventuell nicht so schick ist und man sollte deren Musik besser auf lautlos stellen, wäre das keine gute Idee. Einer Band auf der Bühne den Saft abzudrehen, wird das Publikum gegen sich aufbringen. Die Fans dieser Band ganz sicher, eventuell auch andere. Darum macht das bei einem auch Rockfestival keiner. Wenn man eine Band für unpassend halten muss, lädt man die als Veranstalter erst gar nicht zum Festival ein.

Übertragen auf die Politik heißt das, dass man in unserer Demokratie (als Veranstalter) zur Wahl nur die Parteien zulassen sollte, deren Musik man auch hinterher spielen möchte. Wenn man die AfD ins Programm aufnimmt, und Menschen wählen gehen (zum Festival kommen) um denen ihre Stimme zu geben (diese zu hören), dann sollte man die nicht nur auf der Bühne stehen lassen. Die Leute haben für die Musik bezahlt. Wenn sich jetzt der Festivalveranstalter aber auf die Bühne stellt und verkündet, dass die nur zum Angucken da sind, ihre Musik aber nicht gespielt wird, könnte es ungemütlich werden. Da fühlt man sich verarscht, zumindest irritiert. Und genau so haben ja auch einige in Thüringen auf der Straße interviewte Menschen reagiert.

Wenn die AfD nicht zu unserer demokratischen Grundordnung passt, dann sollte man sie nicht zur Wahl zulassen. Ganz einfach. Schon heute sollten die Gesetze ausreichen, um eine Nazi-Partei zu verbieten. Und falls dem nicht so ist, wird man auf jeden Fall die erforderlichen Mehrheiten finden, um unsere Gesetze entsprechend zu verschärfen. Heute geht es noch. Wenn aber mehr Menschen aufgezeigt wird, dass Wählen nichts bringt, nur die Stimme einiger Weniger zählen, dann wird man noch mehr Frustreaktionen schüren. Entweder wird gleich extrem rechts oder links gewählt oder es gibt eine noch geringere Wahlbeteiligung, was dann auch wider die Ränder stärkt.

Journalisten sind schlechte Ratgeber und sollten keine Forderungen stellen. Aber genau das geschieht jetzt und daher braucht es besonnene Politiker, die jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. In Thüringen wurde mit den falschen Reaktionen auf das Geschehene ein entsetzliches Zeichen gesetzt, der Demokratie geschadet und den Populisten in die Karten gespielt.