Wenn am Prime Day gar nichts prima ist, verliert ein Handelsriese langsam an Reputation. Und schon schießt es dem aufmerksamen Leser in den Kopf: Hat nicht Jeff Bezos höchstpersönlich davon gesprochen, dass es Amazon nur für eine kurze Zeit geben wird? Das Geschäftsmodell, wie es sich heute darstellt, gibt dem Firmengründer Recht. Auf Dauer kann das nicht gut gehen.
Wie jedes Jahr, so hat auch 2020 wieder Amazon das Weihnachtsgeschäft mit zwei Prime Days eingeläutet. Allerdings entwickeln sich die Angebote von Jahr zu Jahr mehr zu einem Ausverkauf von Rudi’s Reste-Rampe. Viel überflüssiger Schund und kaum brauchbare Artikel. Das war vor Jahren noch anders. Heute muss man die wenigen guten Artikel mit der Lupe suchen und verplempert damit kostbare Zeit. Und wenn man dann mal ein gutes Angebot entdeckt und freudig bestellt, passiert Folgendes:
Da werden Artikel zusammengelegt, die nicht zusammen bestellt wurden, und dann wird so getan, als wäre das Paket auf dem Versandweg so stark beschädigt worden, dass Amazon vom Verkauf zurücktritt. Leider geht das nicht so einfach, eine solche „Perversion eines Lockvogel-Angebotes“ zu etablieren.
Bei einem Lockvogel-Angebot werden einige wenige Artikel extrem im Preis gesenkt, um Kunden in sein Geschäft zu locken. Die Hoffnung dahinter: Es werden noch mehr Artikel gekauft, die nicht im Preis gesenkt sind, eventuell sogar zu teuer angeboten werden. Beim stationären Handel muss der Verkäufer leider die Lockware auch tatsächlich zu diesem Preis abgeben.
Amazon hat dieses Konzept jetzt für sich optimiert. Man gaukelt einfach den Versand vor und behauptet dann, dass die Ware beschädigt wurde oder verloren gegangen ist. Darüber wird der Kunde nicht informiert. Sonst verschickt das System eine Bestellbestätigung und eine Versandbestätigung automatisch an die E-Mail des Käufers. Die Flunkerei mit der aufgrund von Beschädigungen nicht ausgelieferten Angebotsware ist im Benachrichtigungssystem noch nicht integriert. Man wundert sich als Käufer nur, wo die Ware bleibt und recherchiert dann im Bereich „Lieferung verfolgen“. Und da hat man Sie dann, die Erklärung für die fehlende Zustellung.
Der Anruf beim Kunden-Support offenbart dann nicht nur die angebliche Beschädigung, sondern auch diese Unverschämtheit: Man bietet eine Rückerstattung des Kaufbetrags, weil man das Gerät zu den günstigen Konditionen nicht mehr vorrätig hat und es zu diesen günstigen Konditionen auch nicht abgeben möchte. Danach geht es aber nicht. Hier ist nach § 145 ff BGB ein Kaufvertrag zu einem festgelegten Preis zustande gekommen.
Die Geschichte mit dem beschädigten Karton ist doch ein schlechter Witz. Eine solche Bohrmaschine wird in einem sehr stabilen Kunststoff-Koffer geliefert. Da müsste schon ein Brückenpanzer drüber fahren, um den zu beschädigen. Während man ja inzwischen vom Amazon-Zustelldienst bunte Bilder mit Darstellungen des abgestellten Kartons erhält, wartet man auf ein Bild der beschädigten Ware vergebens. Aber so ein Bild kann man ja auch nicht machen, weil es nicht der Realität entspricht. Wesentlich plausibler ist die Annahme, dass Amazon dann doch nicht so viele Bohrmaschinen zu gut 50 % des UVP abgeben möchte. Auch wenn es dann am Ende nur 43 Euro Nachlass waren, eine solche Bohrmaschine mit zwei Akkus und Ladegerät für unter 100 Euro, darf man getrost als Schnäppchen bezeichnen.
Neben der Bohrmaschine ebenfalls nicht angekommen ist das um 50% reduzierte Kreditkarten-Lesegerät SumUp.
Es ist für einen Kunden schon sehr ärgerlich, wenn man das dringend benötigte Werkzeug oder das großartige Schnäppchen nicht erhält. Denn eigentlich sollte die Ware gegen Transportschäden versichert sein. Selbst wenn nicht, so bleibt die Tatsache, dass mit dem Versand der Ware der Kaufvertrag zustande gekommen ist und es rechtlich eigentlichen keinen Ausweg gibt. Die Ware müsste trotzdem geliefert werden, selbst wenn es aufgrund von Lieferengpässen einige Wochen dauern würde. Das war aber nach Rückfrage des Support-Mitarbeiters für den Kunden nie eine Option. Das ist schon frech.
Jeff, das Messer
Aber lange nicht so frech, wie der Umgang von Amazon mit Händlern, die über den Marketplace Waren anbieten. Durch geschicktes Taktieren, heimlich geänderte Regelungen und Verträge und einem Schuss betrügerischer Energie schafft es Amazon anscheinend immer wieder, sich bei einigen Anbietern zum einzigen Händler zu machen. So baut man Marktmacht auf. Nachzulesen ist die Vorgehensweise bei der Geschichte mit den Qualitätsmessern der Marke Chroma.
https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/marketplace-amazon-kaempft-mit-allen-tricks/13694426.html
Bei gut gehenden Artikeln gönnt es Amazon jedenfalls keinem Marketplace-Teilnehmer, das Geschäft alleine und an Amazon vorbei zu machen. Also ist Amazon stets bemüht, Topseller selber zu verkaufen. Dumm nur, wenn ein Hersteller dies ausdrücklich zu verhindern sucht. Aber Jeffs Helfershelfer sind da kreativ und haben diese Messer trotzdem im Namen von Amazon verkauft. Um zu ermitteln, wie Amazon an die Messer kam, griff Hersteller Christian Romanowski (Kochmesser.de) zu einer List: Er kennzeichnete die Messer heimlich mit einer UV-Markierung.
Das überraschende Resultat: Testkäufe belegten, dass zumindest ein Teil der von Amazon direkt angebotenen Messer aus dem Bestand eines Fachhändlers stammten, der die Messer in einem Amazon-Lager gelagert hatte. Amazon erklärte dabei, dass diese Messer dort oder beim Versand verloren gingen und hat dem Fachhändler den Verlust ersetzt. Kochmesser.de hat Amazon daraufhin abgemahnt und sich dann in zweiter Instanz außergerichtlich geeinigt.
Freunde werden Jeff Bezos und Christian Romanowski trotz dieser „Einigung“sicher nicht mehr, zumal letzterer dem rabiaten Online-Händler eine eigene Messer-Website gewidmet hat: http://jeff-das-messer.de/
DER SUPERSCHARFE JEFF – DAMIT SCHNEIDEN AUCH SIE SICH STETS DAS GRÖSSTE STÜCK AB!
Schlechte Verlierer müssen immer das letzte Wort haben. Oder wie sonst muss man es deuten, wenn Amazon sich bei einer Suche nach „Jeff Messer“ unter die ersten 5 Suchergebnisse drängelt. Man hat zwar nicht annähernd ein passendes Produkt zu dieser Anfrage, aber sei es drum.
Diese Geschichte zeigt sehr schön, warum man gut beraten ist, dem Unternehmen Amazon nicht über den Weg zu trauen. Wer mit so viel krimineller Energie neue Handelsmärkte und Absatznischen erschließt, der schreckt auch nicht vor gefakten Sonderangeboten zurück. Ende November kommt ja schon die nächste Gelegenheit, Kunden mit Super-Sonderangeboten aus der Reserve zu locken und in einen Kaufrausch zu versetzen. Wenn der Black Friday für Konsumenten nicht seine wahre Bedeutung bekommen soll, wäre es angebracht, Amazon in dieser Woche einfach die kalte Schulter zu zeigen.
Wer ebenfalls Ärger mit dem Versandriesen hat, findet hier ein paar Möglichkeiten, mit dem Online-Händler in Kontakt zu treten:
Kundencenter: https://www.amazon.de/gp/customer-service
Kontakt: https://www.amazon.de/gp/help/customer/contact-us
Amazon in Deutschland: https://www.aboutamazon.de/
Pressecenter in Deutschland: https://amazon-presse.de/
presseanfragen@amazon.de
Telefonischer Kontakt:
Kostenlos aus Deutschland: 0800-36 38 469, für Kindle-Anfragen: 0800-589 00 67.
Kostenlos aus Österreich: 0800-88 66 32 38, für Kindle-Anfragen: 0800-88 66 32 39
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