April 24, 2024

Der Eiertanz ums Goldene Kalb

Die Inzidenzwerte steigen und es macht sich Panik breit. Politik und Medien tun wieder völlig überrascht. Alle fragen sich, warum uns das wieder so unvorbereitet trifft. Aber war das wirklich überraschend? Lohnt sich die Aufregung überhaupt?

Das erklärte Ziel der Pandemiebekämpfung war stets, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Stieg die Inzidenz, stieg wenig später auch die Zahl der Krankenhaus-Patienten und der Toten. Insbesondere die Statistik der Corona-Fälle und -Toten zeigte aber im Verlauf des Jahres 2021, dass die Sieben-Tage-Inzidenz seit der dritten Welle im Frühjahr weniger Aussagekraft hat als in der zweiten Welle. Schnellt die Inzidenz in die Höhe, sterben nicht automatisch kurz darauf viel mehr Menschen im Zusammenhang mit Covid-19.

Die Vereinigung der Intensivmediziner, Divi, und der Hausärzteverband haben sich daher schon im Sommer für eine Abkehr von der Inzidenz als alleiniges Kriterium für die Festlegung der Maßnahmen ausgesprochen.

Nach Empfehlung dieser Experten sollten vielmehr auch der R-Wert, die Todeszahl, die Altersstruktur der Infizierten, die Intensivbetten-Belegung und die Zahl der Beatmeten einbezogen. Die Hospitalisierungsrate, also die Zahl der Erkrankten, die innerhalb einer Woche in eine Klinik zu r Behandlung von Corona eingeliefert wurden, sollte zur wichtigsten Messgröße gemacht werden.

Allen Experten war schon im Sommer klar, dass die 7-Tage-Inzidenz im Spätherbst wieder ansteigen wird. Einige erklärten sogar, dass wir uns von sehr höhen Werten nicht verrückt machen lassen sollten, denn solange die Hospitalisierungsquote nur moderat steigt ist alles in Ordnung.

Damals ging man noch davon aus, dass Impfdurchbrüche nicht zu schweren Erkrankungen und Patienten auf Intensivstationen führen würden. Das kann man heute nicht mehr behaupten. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei den über 60-jährigen aktuell 60 Prozent der Infizierten doppelt geimpft waren.

Zwar müssen nur 34 Prozent intensivmedizinisch behandelt werden, aber bei den Todesfällen machen Geimpfte wieder einen Anteil von 43 Prozent aus. Wer als älterer Mensch an COVID-19 erkrankt, hat sehr oft einen schwereren Krankheitsverlauf (israelische Studie). Nun machen die über 60-jährigen einen Anteil von 64,4 Prozent der Intensivpatienten aus.

Nur 16 Prozent der Intensivpatienten sind jünger als 50 Jahre, ungefähr 35,5 Prozent jünger als 60. In den jüngeren Altersgruppen spielt sich aber das große Inzidenz geschehen ab.

Schon diese Betrachtung der relativen Verteilung sollte den Pulsschlag etwas senken. Deutlicher wird es, wenn man die absoluten Patientenzahlen in den Altersgruppen anschaut.

Zahlenmäßig sind es überwiegend 60 bis 69-jährige, die auf Intensivstationen liegen. Danach folgen 70 bis 79-jährige, 50-59-jährige und dann erst über 80-jährige, aber deren Anteil an der Bevölkerung ist ja auch geringer. Die Kurven machen deutlich, dass mit zunehmender Dauer das Verhältnis jung zu alt weiter auseinander bewegen wird. Die Kurven der unter 50-jährigen verläuft deutlich flacher, die Kurven der Älteren steigen erheblich an. In der Altersgruppe der über 60-jährigen liegt die Impfquote aber bei 91 Prozent (siehe oben). Die Strategie, die Impfquote zu erhöhen, wird zumindest bei den Älteren nicht viel bringen. Trotzdem ist die Steigerung der Impfquoten und das Nötigen der Ungeimpften zur Spritze das alleinige Ziel.

Die Erhöhung der Impfquoten wird anhand dieser Zahlen keinen großen Einfluss auf die Inzidenzwerte haben, ganz sicher nicht in den besonders zu schützenden Altersgruppen und Risikopersonen. Es wird daher noch eine geraume Zeit steigende Inzidenzwerte geben. Vielleicht gelingt es dennoch, den Erregungszustand etwas zu vermindern und auf Kriterien sich zu konzentrieren, die bessere Instrumente sind, über geeignete Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung zu entscheiden.

Dann darf man auch gerne  andere Fragen stellen, als „warum steigen die Inzidenzen“ und „warum hat die Politik das vorher nicht gewusst“. Man könnte zum Beispiel fragen, warum schon jetzt wieder von einer Überlastung der Intensivstationen die Rede ist, obwohl die Zahlen etwas anderes ausrücken.

13 Prozent der Intensivbetten werden gerade von COVID-19-Patienten belegt. Das sind übrigens auch Menschen, die nach einem Unfall oder einer Operation dort gelandet sind und bei denen dann ein positiver PCR-Test erfolgte. Ob der Patient Symptome hat und sein Krankheitsverlauf durch diese Corona-Infektion diesen schweren Verlauf genommen hat, besagt diese Statistik nicht.  Alle diese Fälle gibt es aber. 3.285 vermeintliche COVID-Patienten sorgen für eine Überlastung. Was sollen dann die übrigen 18.479 Notfälle sagen? Zählen die nicht?

Fakt ist auch, dass Ende 2020 die Hospitalisierungsrate ihren Höchststand bei 15,7 hatte. Das waren damals 12.645 Patienten. Aktuell liegt in diesem Herbst der Höchstwert unterhalb von 6.000 Patienten, das ist weniger als die Hälfte des Spitzenwertes und damals war das Gesundheitssystem nicht überlastet. Warum ist es das jetzt heute?

Die Hospitalisierung zeigt aber sehr deutlich die Wertlosigkeit der Inzidenzzahlen. Während die 7-Tage-Inzidenz bei den jüngeren Altersgruppen deutlich höher ist als bei den älteren, verhält es sich bei der Hospitalisierungsrate genau umgekehrt. Über die gesamte Bevölkerung ist dieser Wert gerade 4,86. Bei den über 60-jährigen liegt dieser Wert bei 11,34 (Quelle: RKI Tagesbericht).

Fazit: Der alte Panik-Parameter hat ausgedient

Die 7-Tage-Inzidenz hat über Monate einen hervorragenden Beitrag zur Verbreitung von Angst und Panik geleistet. Weil alle andere Parameter nicht publiziert wurden und in der öffentlichen Diskussion nicht statt fanden, musste man nur genug testen und dabei die Reaktionsschwelle so niedrig halten, so dass auf diese Weise enorme viele „Infizierte“ das Ergebnis waren.  Dass viele von diesen keine Symptome hatten und daher auch nicht ansteckend waren, hat nicht zuletzt die Uni Duisburg-Essen festgestellt. Die Wissenschaftler dort halten Ergebnisse des PCR-Tests daher für nicht aussagefähig.

Wer aber glaubt, die Hospitalisierungsrate wäre der um Längen bessere Wert, sollte sich einmal die Bundesländer genauer anschauen. Wenn man die 7-Tage-Inzidenz mit dieser Rate ins Verhältnis setzt, kommen kuriose Werte heraus. Eine hohe Inzidenz ist nämlich noch lange kein Kriterium für viele Patienten. Neben dem Alter scheint auf der Ort eine Rolle zu spielen.

Die höchste 7-Tage-Inzidenz in Sachsen  hat nicht zu einer ebenso hohen Hospitalisierung geführt. Setzt man beides ins Verhältnis ergibt sich, dass nur 0,79 Prozent der Infizierten dort aufgrund von COVID-19 ins Krankenhaus müssen. Den höchsten Wert mit 3 Prozent hat Thüringen. Dort ist aber die Hospitalisierungsrate explodiert und mit 16,55 mehr als doppelt so hoch wie die Nummer 2 in dieser Kategorie, Bayern. Den zweithöchsten Anteil Hospitalisierter im Verhältnis zur Zahl der Neuinfektionen. Das ist aber das Bundesland mit der niedrigsten Inzidenz. Hamburg ist in allen Kategorien sehr gut. Inzidenz, Hospitalisierungsrate und das Risiko der Hospitalisierung sind hier niedrig, was für einen Stadtstaat nicht unbedingt zu erwarten war. (Quelle: RKI Tagesbericht)

Rückkehr zur Vernunft

Wenn Messgrößen nur noch bedingt taugliche Werte liefern, die bisher genutzten Messwerte ohnehin künstlich in die Höhe getrieben wurden und die Impfung nicht den Schutz bietet, die man benötigen würde, um die Pandemie allein dadurch zu beenden, wird es Zeit, den Kurs zu wechseln. Den Gesetzen der Vernunft zu folgen, wäre jetzt eine gute Idee.

Statt Milliarden in Impfungen und Tests zu investieren, die nur das Ausmaß mindern, das Problem aber nicht lösen, sollte man in das Gesundheitswesen investieren. Die Versorgung von Kranken einem privaten, den betriebswirtschaftlichen Gesetzen unterworfenen Gesellschaft zu übertragen, kann man nur als Schnapsidee bezeichnen. Pflegepersonal sollte nur für wenige Patienten zuständig sein, erträgliche Arbeitszeiten haben und ein faires Gehalt bekommen. Nichts davon trifft aktuell zu. Engpässe auf Intensivstationen resultieren nicht aus fehlenden Betten, sondern aus fehlendem Personal. Wenn jetzt die Politik einen Test- und Impfzwang für das Personal in Pflegeeinrichtungen fordert, klingt das zwar vernünftig, wird aber sehr wahrscheinlich zu vielen Kündigungen führen.  Der personelle Notstand wird dadurch gesteigert. Damit ist niemanden geholfen.

Tests machen nur dort Sinn, wo das Infektionsrisiko hoch ist oder die Konsequenzen einer Infektion zu schwerwiegenden Folgen bei den Betroffenen führen. Dafür müsste man diese Orte und Personen erst einmal identifizieren. Genau Studien über Art und Umfang von Infektionen im täglichen Leben, sind das A & O in der Pandemie. Nach 20 Monaten Blindflug darf es keine Politik im Gießkannen-Verfahren mehr geben. Flächendeckende Lockdowns bringen im Verhältnis zum Schaden, den sie anrichten, wenig.

Vor allem sollte man den Menschen die Angst nehmen. Mit etwas Mut zur Wahrheit sollten – wo es möglich ist – alle Zahlen berichtigt werden. Das kann man auch schätzungsweise machen, aber bei der Inzidenz sollten dann wirklich nur jene gezählt werden, die auch tatsächlich Symptome einer Erkrankung zeigen. Auch die Zahl der Verstorbenen enthält zu viele Fälle, bei der COVID-19 mit dem Ableben nur am Rande oder gar nichts zu tun hatte. Alles sollte ins richtige Verhältnis gesetzt werden. Die Zahl der Neuinfektionen sollte man ins Verhältnis mit der Anzahl der Testungen setzen und dabei auch Alter, Beruf, Wohnsituation und Vorerkrankungen berücksichtigen.

Bereits weltweit erfolgreiche Behandlungsmethoden sollten endlich auch bei uns zum Einsatz kommen dürfen. Zudem sind mit Atemmaske und Abstand noch längst nicht alle möglichen Präventivmaßnahmen zur Anwendung gekommen. Durchseuchung ist bei jüngeren Menschen nicht nur kein Problem, sondern auch eine wichtige Maßnahme, Druck vom Kessel zu nehmen. Ein nur begrenzt wirksames Impfmittel kann nicht das Beurteilungsmittel sein, um über die Dauer des Schutzes Aussagen zu treffen. Bereits jetzt belegen erste Studien, dass eine natürliche Immunabwehr nicht nur besser, sondern vor allem länger vor COVID-19 schützt.

SARS-COV2 wird bleiben. Wir sollten lernen, damit zu leben. Vor allem sollten wir aufhören, ängstlich und panisch zu werden. Angst ist kein guter Ratgeber. Vernunft muss endlich in die Corona-Debatte Einzug finden.